Annette Riemann

Ausstellungseröffnung „for ever and ever“ 20. September 2014 Christiane Behr und Annette Riemann im BIS

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Zarm, liebe Christiane Behr, liebe Annette Riemann, es ist mir ein Vergnügen, diese Ausstellung mit den Arbeiten Christiane Behrs und Annette Riemanns hier im zumeist nicht zugänglichen Obergeschoss des BIS zu eröffnen.

Seit der letzten Ausstellung („Refugium“) vor knapp anderthalb Jahren hat sich in den Räumen nicht viel verändert. Keine Renovierung und keine Umbaumaßnahmen, keine zusätzlichen Fenster oder ähnliches – und dennoch: Der Eindruck heute ist ein völlig anderer. Interessante Räume treffen auf eine interessante, überaus aktuelle Problematik, die der Ausstellung mit dem Titel „for ever and ever“ zugrundeliegt und in der darüber hinaus eine unerwartete Parallele schlummert – verhält es sich mit dem Dienstbotengeschoss, in dem wir uns gerade befinden, im Verhältnis zur Beletage im Stockwerk unter uns doch wie mit der Reproduktion im Verhältnis zum Original: Beide sind, was ihre Bedeutung angeht, auf den ersten Blick die mit dem geringeren Prestige.

Nun haben Dienstboten zumindest in unseren Breiten an Bedeutung enorm verloren oder erscheinen gar völlig ausgestorben, während Reproduktionen allenthalben an Zahl und Masse Tag für Tag noch zuzunehmen scheinen – Aber lassen Sie mich vielleicht doch ganz von vorn beginnen. Aufmerksamen Lesern wird nicht entgangen sein, dass der vollständige Titel der Ausstellung „for ever and ever – Kann die Reproduktion das Original ersetzen?“ lautet. Nun haben Ausstellungstitel, genau wie Bildtitel, nicht immer zwingend etwas mit dem Dar- oder Ausgestellten zu tun. In diesem Fall aber führt der Titel nicht in die Irre, sondern geradewegs in das Zentrum der bildnerischen Auseinandersetzung, und auch das Motiv der Einladungskarte, eine Spiegelung, nimmt ganz konkret Bezug auf die allererste und vielleicht allereinfachste Form der Reproduktion. Und so finden Sie auf der Einladungskarte einen Ausschnitt aus einer Aufnahme eines Modells der Installation, die sich in dem nicht zugänglichen Raum auf der linken Seite befindet.

Sie besteht unter anderem aus mit Lebensrettungsfolie aus dem Erste-Hilfe- Kasten bespannten Rahmen, deren transluzente und zugleich spiegelnde Beschaffenheit auf eigenwillige und sehr unterschiedliche Weise Aspekte der Arbeiten Riemanns wie der Behrs aufgreift und vielleicht am ehesten die Gemeinsamkeiten ihrer Arbeiten beschreibt. Tatsächlich handelt es sich bei dieser Arbeit um eine Gemeinschaftsarbeit, die genau für diese Ausstellung und diesen Ort geschaffen wurde, um mindestens einen der zahlreichen Aspekte des Themas – ganz buchstäblich – zu beleuchten. Aber zurück zu Original und Reproduktion: Diese Ausstellung umfasst sowohl Originale als auch Reproduktionen, befasst sich mit überlegungen zur mechanischen oder halbautomatischen Produktion von Objekten, hinterfragt die Originalität von millionenfach gesehenen und damit zu Allgemeingut gewordenen Aufnahmen, deren Bedeutung und Einzigartigkeit bei ihrer Entstehung heute kaum mehr nachzuvollziehen ist. Sie beschäftigt sich mit der Qualität und weniger mit der Quantität von Reproduktionen, die doch immer mitschwingt, brandmarkt ein Original als Kopie und erliegt dem Zauber – der Originalität – des Andersartigen der Reproduktion.

Die Frage nach der Haltbarkeit (for ever and ever?) zieht notgedrungen die Frage nach dem Material nach sich, und genau auf dieser Ebene begegneten sich die Arbeiten Riemanns und Behrs, so scheint es, zum ersten Mal.

Denn beide, Riemann und Behr, beschäftigen sich in ihren Arbeiten unter anderem mit Licht. Licht, das in semiopake Wachs- bzw. Paraffinschichten eingeschlossen scheint und Oberflächen von schimmernder, ausgesprochen haptischer Qualität erzeugt, Licht, das in der Reflektion den Bild-Raum in beide Richtungen – in die Tiefe des Bildes wie in die Tiefe des Raumes hinein – erweitert. Licht, das nicht alle, aber doch besonders lichtempfindliche Pigmente verändert und damit Einfluss auf die Gestalt wie auf die Gestaltung der Arbeiten nimmt. Womit wir bei der Frage nach der Haltbarkeit angekommen wären, einer Frage, der sich beide immer wieder stellen müssen, will der Käufer doch wissen, ob das, was er erwerben will, auch Bestand haben wird.

(Um die Frage zu beantworten: Ja, die Arbeiten haben Bestand. Paraffin ist sehr viel widerstandsfähiger, als man denkt, und die mit amerikanischen Airbrushfarben auf dem hochglänzenden, strahlend weißen, quasi „leer“ entwickelten Fotopapier von Ilford gemalten Arbeiten Annette Riemanns ebenfalls. Es sind ganz offensichtlich nur einige wenige Rotpigmente, die im Laufe der Jahre etwas von ihrer Farbigkeit einbüßen.)

Die Auseinandersetzung mit dem Licht und den verschiedenen Qualitäten des Lichts wie Helligkeit, Lichteinfall oder die ihm eigene Farbigkeit (denken Sie an diese gräßlichen, leicht rosa getönten Energiesparlampen oder, noch extremer, an die Straßenbeleuchtungen vieler Städte, die sich in der Abenddämmerung erst langsam von rot über orange zu gelb entwickelt), die Auseinandersetzung um die Qualität des Lichts also, die während des Ausstellungsaufbaus hier oben stattfand, machte mir einmal mehr klar, wie sehr unsere Wahrnehmung eben auch von der Inszenierung gesteuert wird. Ich denke, wir alle wissen, wie ein Mangel an Licht kleine Macken gnädig zu vertuschen vermag bzw. wie ein „Zuviel“ oder ein ungünstiger Lichteinfall diese brutal betont. Und dennoch: In unserem alltäglichen Umgang mit allem, was wir sehen, spielt dieses Wissen keine Rolle. Stattdessen neigen wir dazu, das, was wir sehen, für „wahr“ zu halten. Dass wir uns dabei fast immer – häufig abhängig von der Intention des „Reproduzierenden“ oder Beleuchters“ - täuschen lassen, geht nicht nur uns, sondern auch ausgewiesenen Fachleuten so. Immerhin gestand Wilhelm Bode, einer der großen deutschen Kunsthistoriker und Generaldirektor der Berliner Museen, bereits 1930 „in seiner posthum erschienenen Autobiographie [...], daß ihm bei Ankäufen, die er auf der Basis von Fotografien getätigt habe, „nicht immer [...] eine Enttäuschung erspart“ geblieben sei.“ [1]

Ganz offensichtlich hatte die fotografische Reproduktion Qualitäten, die im Original so nicht zu erkennen waren, und wenn Sie jetzt an die Diskrepanz zwischen den zahllosen Abbildungen der Mona Lisa einerseits und dem Original hinter Panzerglas in einer Ecke des Louvres andererseits denken, haben Sie in etwa eine Vorstellung davon, was er wohl meinte.

Ähnlich ergeht es übrigens auch heute noch nicht nur den zahllosen Liebhabern Magrittescher Gemälde, die, von Kalenderblattreproduktionen und Hochglanzmagazinen verwöhnt, vor den Originalleinwänden enttäuscht umkehren. Das aber entspricht so gar nicht unserer Vorstellung von dem Primat des Originals und wirft die durchaus ernst gemeinte Frage auf, ob nicht die Reproduktion das eigentliche Ziel jeder künstlerischen Produktion sein sollte, zumal – wie bereits erwähnt – notwendige Korrekturen so viel leichter vorzunehmen sind, Format und Farbigkeit frei wählbar erscheinen und – zu allem überfluss – eine viel größere öffentlichkeit erreicht werden kann.

Wirft man einen Blick auf die Geschichte der Reproduktion, muss man mehr oder weniger erstaunt feststellen, dass diese Frage lange Zeit überhaupt keine Frage war. Ganz selbstverständlich wurden seit dem 15.Jahrhundert, also seit dem Aufkommen der ersten Reproduktionsverfahren (Holzschnitt, Kupferstich), Bildideen in verschiedenen Medien realisiert, und Werkstattkopien beliebter, gut „gehender“, d.h. sich gut verkaufender Motive, die später zu erbitterten Schlachten im Reich der kunsthistorischen Zuschreibung führten, waren keineswegs verpönt. Die Unterscheidung in „inventio“, die dem Bild zugrundeliegende Kompositionsidee, und in „disegno“, dessen linearem Grundmuster, sowie deren Beurteilung durch eine sich etablierende Kunsttheorie als die eigentlichen Qualitätskriterien eines Kunstwerkes führten mitunter sogar dazu, dass die besten Reproduktionsgrafiker, zumeist Kupferstecher, nicht nur internationale Berühmtheit erlangten, sondern auch besser verdienten als die Künstler, die sie vervielfältigten[2]<.

Nicht anders als heute dienten die verschiedensten Vervielfältigungsverfahren nicht nur der Verbreitung der Arbeiten, sondern auch der Verbreitung der Namen ihrer Schöpfer.

Ein Konzept, das in einer Art Perversion bis in unsere Zeit wirkt, in der Name und Gesicht allein weit wichtiger zu sein scheinen als das Produkt. (Ein Beispiel dafür wäre der Name „Justin Bieber“. Den haben Sie sicher schon mal gehört. Aber wissen Sie auch, was genau der macht?) Mit Raffael und Marcantonio Raimondi, seinem Kupferstecher, etablierte sich dann wohl erstmals eine geglückte Partnerschaft zweier Künstler im Dienste des (gemeinsamen) Erfolgs[3], eine Partnerschaft, wie sie heute immer häufiger in Personalunion auftritt – ist doch der Künstler heute häufig auch sein eigener Reproduzent und spätestens da gefragt, wo es um eine authorisierte Verbreitung der eigenen Werke geht.

Wie problematisch die Reproduktion eines Werkes sein kann, illustriert die von hinten beleuchtete, leicht trashig daherkommende Reproduktion eines ölgemäldes, die in einem der winzigen Räume im hinteren Teil der Ausstellungsfläche hängt. Diese mit angeschnittenem Rahmen auf hauchdünnem, aber extrem festen Papier gedruckte Vervielfältigung eines Bildes des englischen Tiermalers Thomas Sidney Cooper macht deutlich, was bei einer Reproduktion alles schief gehen kann. Die Wahl des Materials, hier von hoher Qualität, dürfte da fast noch das geringste übel sein.

Dass es aber auf die Qualität der Reproduktion häufig schon gar nicht mehr ankommt, zeigt die Serie rund um die Bilder der Mondlandung am 21. Juli 1969 sowie die Screenshots von zufällig zusammengestellten Bildern bzw. Fotografien der Mondoberfläche. Die Bilder, die längst zum kollektiven Gedächtnis unserer Zivilisation gehören, sind ohne Schwierigkeiten hinsichtlich der Urheberrechte zu verwenden – eine entsprechende Anfrage von Annette Riemann, die hier ebenfalls aushängt, blieb unbeantwortet.

Das Logo der Nasa sowie der entsprechende Schriftzug dagegen sind urheberrechtlich geschützt und dürfen nicht verwendet werden. Woraus zu schließen wäre, dass die Marke heute bei weitem wichtiger ist als das Bild ...

Wie damit umgehen? Sich der Bilderflut verweigern kann ja in einem Feld, in dem es primär um Bilder geht, kein probates Mittel sein. Der Flut von Reproduktionen eine Flut von Originalen entgegenzusetzen wäre vielleicht eine Möglichkeit. Der Entwurf einer halbmechanischen Produktionsstraße von Christiane Behr, den Sie in der ehemaligen Küche finden und auf den ich mich hier beziehe, geht das Problem von dieser unglaublich charmanten, ganz und gar praktischen Seite an. Allerdings bliebe genau zu prüfen, inwieweit bei einer seriellen Produktion ohne Zutun des Künstlers noch von Originalen die Rede sein könnte, bzw., auf die Spitze getrieben, inwieweit das Zutun des Künstlers/der Künstlerin für die Entstehung eines Kunstwerkes überhaupt vonnöten ist.

Welche weiteren Lösungsansätze Behr in der Auseinandersetzung mit der Problematik rund um die Reproduktion findet, werden Sie feststellen, wenn Sie die Räume betreten. Denn auch das Transferpapier, das für die Reproduktion (eines Fotos) einer ihrer großen Wachsbilder auf textilem Gewebe Verwendung fand, kann eine neue Arbeit und damit zu zu einem Original werden. übereinandergeschichtete Fotografien einzelner Arbeiten und ihres Umraums bilden die „inventio“, die Bildidee, in einem anderen, fast körperlosen Medium ab. Es sind eher spielerische Herangehensweisen, die mittels unterschiedlicher Versuchsanordnungen keine Reproduktionen, sondern neue Originale produzieren und so an eine jahrhundertealte Tradition anknüpfen. Was das schließlich für die beiden Künstlerinnen bedeutet, fragen Sie sie am Besten selbst.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Ulrike Lua


    • 1
      In: Wolfgang Ullrich, Raffinierte Kunst – übung vor Reproduktionen, Verlag Klaus Wagenbach Berlin, o.J., S. 7
    • 2
      Siehe Wolfgang Ullrich, Raffinierte Kunst – übung vor Reproduktionen, a.a.O., S. 10 ff
    • 3
      Ebd., S. 12


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